15. bis 21. September 2012 in Kyoto
Das International Conference Center (ICC) in Kyoto wurde als Ort des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz bekannt. Vielleicht weniger bekannt ist seine eigenwillige Architektur, die an Star Trek und klingonische Raumkreuzer denken läßt. Ein Blick zur Decke des großen Auditoriums weckt dagegen Assoziationen mit einem Spielfilm von Roland Emmerich.
Mit der Vergabe an die Mass Spectrometry Society of Japan (MSSJ, http://www.mssj.jp) und Kyoto als Tagungsort ging die International Mass Spectrometry Foundation (IMSF) ganz bewußt den Weg von einer europäischen zu einer global ausgerichteten Tagung. So wie in Bremen 2009 bei der von der Deutschen Gesellschaft für Massenspektrometrie (DGMS) ausgerichteten 18th IMSC das deutsche Publikum den weitaus größten Teil der Tagungsteilnehmer ausmachte, waren in Kyoto erwartungsgemäß die Japaner mit über 760 Teilnehmern in der Mehrheit. Sicher noch getragen von der Verbundenheit mit der IMSC 2009 stellten die rund 80 deutschen Teilnehmer nach den US-Amerikanern mit rund 160 Personen das größte Kontingent unter den knapp 2000 Teilnehmern und Ausstellern. Dicht gefolgt wurden die Deutschen von Taiwanesen, Koreanern, und Briten. Dass dreimal so viele Deutsche wie Vertreter anderer europäischer Staaten vertreten waren, lag sicher auch an der großzügigen Reisebeihilfe der DGMS für 16 Doktoranden. Insgesamt blieb die 19th IMSC zwar etwa 20 Prozent hinter der bisher bestbesuchten Tagung in Bremen zurück, doch angesichts der für viele extrem weiten Anreise stellt das ein überaus beachtliches Ergebnis dar.
Der Rahmen der IMSC ist seit langem weitgehend definiert und durchaus bewährt. So fanden samstags und sonntags ein- und/oder zweitägige Short Courses und verschiedene Firmen-Anwendertreffen statt. Am Sonntag Nachmittag folgten zuerst zwei kurze Tutorials, dieses Mal von Nico Nibbering (Amsterdam) und Michael Gross (St. Louis, MO), bevor die Tagung offiziell eröffnet wurde. Nach einem Plenarvortrag traf man sich beim Conference Mixer.
Im Tagungsverlauf fanden neben weiteren Plenarvorträgen durchgehend fünf Parallel-Sessions statt, die jeweils von einem eingeladenen Vortrag eröffnet wurden. Die Themen der Tagung waren sehr weit gestreut, um möglichst viele Arbeitsgebiete der MS einzubeziehen. Dennoch lag der Schwerpunkt wie bei den DGMS-Jahrestagungen auch auf dem Gebiet der im weitesten Sinn biochemischen und organischen Themen, worunter auch Proteomics, Metabolomics und spurenanalytische Anwendungen gerechnet seien. Naturgemäß stellten auch die instrumentellen Entwicklungen eine große Gruppe unter den insgesamt 45 Sessions der Tagung. Die Element- und Isotopenanalytik war allerdings auch vertreten und sogar eine AMS-Session war Teil des IMSC-Programms.
Viel Raum fand auch die täglich wechselnde Posterausstellung, die zu einem Teil (ungerade Nummern) vor der Mittagspause und zu einem Teil (raten Sie mal) nach der Mittagspause abgehalten wurde. So wurden an vier Tagen rund 800 Posterbeiträge vorgestellt. Da die großen und auch verschiedene kleinere Anbieter von Produkten und Leistungen rund um die MS in der Firmenausstellung vertreten waren, war es sehr günstig, beides in der großen Ausstellungshalle unter einem Dach vereint zu finden.
Bei den IMSCs werden auch die Thomson Medals der IMSF und der Curt Brunnée-Award verliehen. In diesem Jahr erhielten die Thomson Medal Franti¿ek Tureček (Seattle, WA), Alexander Makarov (Thermo Fisher Scientific, Bremen) und Ruedi Aebersold (ETH Zürich). Den Curt Brunnée-Award erhielt Zheng Ouyang (Purdue University, West Lafayette, IN) für seine Entwicklungsarbeit im Bereich miniaturisierter Massenspektrometer.
Wer sich für das genaue Tagungsprogramm mit allen Beiträgen und Rednern interessiert, kann das auf der Website der Tagung einsehen (http://www.imsc2012.jp). Außerdem werden in der 19. Ausgabe der Reihe Advances in Mass Spectrometry alle Plenar- und Keynote-Vorträge publiziert und das erstmals als Open Access. Dazu wird ein Heft der 2012 von der MSSJ neu gegründeten und generell frei zugänglichen Zeitschrift Mass Spectrometry (http://www.mass-spectrometry.jp) verwendet werden. Da die Einreichung der Manuskripte vor der Tagung zu erfolgen hatte, steht zu erwarten, dass die Publikation dieser hilfreichen Übersichtsartikel anders als in der Vergangenheit sehr zeitnah an der 19th IMSC erfolgen kann.
Einen Einblick in das japanische Handwerk gab der Plenarvortrag des Eröffnungsabends, in dem Hyroyuki Hamada (Kyoto Institute of Technology) zeigte, wie man an seinem Institut versucht, Bewegungsabläufe traditioneller Handwerke mit Hilfe von Körpersensoren und Hochgeschwindigkeitskameras zu erfassen, um so das Erlernen dieser Fertigkeiten zu erleichtern und vor allem zu beschleunigen. Gegenwärtig ist es nämlich so, das der Lehrling seinem Meister rund zehn Jahre in wahrsten Sinne des Wortes auf die Finger schaut und extrem wenig theoretische Ausbildung erhält. Auch liegt es allein im Ermessen des Meisters, das Ende der Ausbildung zu bestimmen. Diese Ungewissheit hat zu einem starken Rückgang der Handwerksberufe geführt, der gar zu einem Aussterben ganzer Berufszweige führen könnte, obwohl deren Produkte begehrt sind. Als Beispiel diskutierte Hamada u.a. einen Lackierer der mit höchster Kunstfertigkeit Klavierlack (Piano Black) auf Oberflächen zaubert, was Kunststoffoberflächen hochwertiger TV-Geräte oft mit mittelmäßigem Ergebnis nachzuahmen versuchen. Auch in diesem Vortrag zeigte sich, wie unterschiedlich Gesellschaften auch in Zeiten scheinbar unbegrenzter Globalisierung sein können.
Als Mitteleuropäer findet man sich in Kyoto in einer anderen Welt, deren Sprache, Kultur und Essgewohnheiten je nach persönlicher Sichtweise höchst interessant oder schlicht gewöhnungsbedürftig sind, sofern man sie nicht wie manche Zeitgenossen einfach nur zu umgehen versucht ¿ zugegeben, Seetang, gedünsteter Fisch und Reis zu geröstetem Grünen Tee (sog. Brauner Tee) zum Frühstück sind für Mitteleuropäer schon herb. Auch das für unsere Vorstellungen von Spätsommer extrem schwül-heiße Wetter machte es nicht ganz leicht, ein frisches Erscheinungsbild aufrecht zu erhalten.
Natürlich soll ein Tagungsbesuch in erster Linie dem wissenschaftlichen Austausch dienen, aber diese Woche ohne wenigstens ein oder zwei halbe Tage Kultur in Kyoto zu verbringen, wäre wohl auch sträflich. Auch in dieser Hinsicht ist ein Austausch sicher nicht verkehrt. Daher schließt dieser Bericht auch Eindrücke vom Kinkakuji-Tempel ein, den der Autor unter Einsatz von U-Bahn und Busfahrplänen schließlich doch noch zu finden in der Lage war. Wenn man nur genau hinschaut, findet man auch Hinweisschilder etc. in lateinischer Schrift ¿ welch ein Segen!
Im Ganzen betrachtet war die 19th IMSC eine sehr gelungene Tagung mit hervorragender Organisation durch ein Team der MSSJ. Die Kombination aus großer Höflichkeit und Zurückhaltung mit Gründlichkeit und Fleiß läßt uns gelegentlich recht nassforsche Mitteleuropäer manchmal in Erstaunen hinten an stehen. Vielleicht sollten wir nicht nur in der Massenspektrometrie selbst nach dem Weg der Erkenntnis suchen?
Die 20th IMSC in Genf (http://www.imsc2014.ch) wird dann 2014 wieder weit günstiger für die europäische MS-Fraktion sein, bevor 2016 mit Toronto der nordamerikanische Kontinent betreten wird. Aus dieser Planung ist auch ersichtlich, dass der traditionell dreijährige IMSC-Turnus ab nun auf ein zweijähriges Tagungsintervall umgestellt ist, um die Aktualität zu verbessern.
Text und Bilder: Jürgen H. Gross, Universität Heidelberg